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„Seid Wachsam“ Gedanken zum ersten Adventsonntag

„Seid Wachsam“

Wie von vielen befürchtet wurde, stehen der Advent und das Weihnachtsfest in diesem Jahr im Zeichen der Corona Pandemie. Seit einem Jahr wütet die Pandemie in der ganzen Welt und hat das tägliche Leben der meisten Menschen völlig durcheinander gebracht. Eine solche Erfahrung haben die wenigsten von uns mitgemacht, außer vielleicht diejenigen, die den zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Eine weltweite Pandemie gab es seit hundert Jahren nicht. Aber die Geschichte sagt uns, dass Seuche, Peste und Katastrophen immer ein Teil der Menschheitsgeschichte gewesen sind, und sie würden wohl auch in der gerechtesten und ökologischsten aller Welten vorkommen.

Die Realität ist, dass wenn wir diesmal Advent und Weihnachten in einer anderen und möglicherweise gedämpften Form feiern, ganz anders als gewöhnlich, dann sind wir dem ersten Advent und Weihnachtsfest möglicherweise ein wenig nähergekommen. Der erste Advent war eine Zeit der Verwirrung, unter der ein junges Paar im römischen Palästina sein erstes Kind erwartete, das unter ziemlich mysteriösen Umständen gezeugt wurde. Kurz vor der Geburt des Kindes wurde das Paar aufgefordert, eine mühsame Reise zu einem weit entfernten Ort zu unternehmen. Dort haben sie keine Unterkunft gefunden, und schließlich fand die Geburt ihres ersten Kindes in einem Kuhstall statt. Das sagt uns jedenfalls die Bibel. Dieses Bild wird uns in diesen Tagen nicht fehlen. Der Befehl von Kaiser Augustus, dass sich jeder in seiner Heimatstadt registrieren soll, ähnelt den Corona-Regeln, die von Zeit zu Zeit erlassen werden. Die Welt, in die Jesus geboren wurde, ist nicht die Idylle, die wir zu Weihnachten um uns herum schaffen. Unsere Welt ist genauso ungerecht wie damals. Jesus ist mit einer Botschaft der Geschwisterlichkeit und Gerechtigkeit aufgetreten, damit „das Volk, das in der Finsternis ging, ein helles Licht sah“, wie der Prophet sagt. Weihnachten hat keine andere Botschaft als diese.

Das Evangelium vom ersten Adventssonntag spricht traditionell von der Endzeit. Es mag ziemlich verwirrend erscheinen. Sagt uns das nicht, dass wir die Zukunft mehr als die Vergangenheit in den Blick nehmen müssen? – Die Zukunft der Menschheit, die Zukunft der Natur, die Zukunft unserer Kinder und so weiter? Obwohl die Sprache, die der Evangelist Markus hier benutzt, von der jüdischen Apokalyptik genommen ist und wir nicht damit vertraut sind wie die Christen in seiner Gemeinde, können wir etwas vom Aufruf zur Wachsamkeit lernen. Wir erwarten nicht so wie die ersten Christen die zweite Ankunft des Herrn, aber wir erwarten, dass irgendwann einmal unser Lebensweg zu Ende gehen wird, und als Christen glauben wir, dass wir Rechenschaft über unser Leben abgeben müssen. Seid wachsam, denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Wachsamkeit also lohnt sich. Aber im christlichen Sinne ist diese Wachsamkeit keine Passivität. Wir sind Knechte, die Vollmacht haben, mit bestimmten Aufgaben. Der Herr soll uns nicht schlafend antreffen.

Aufgaben haben wir viele, liebe Schwestern und Brüder. Dieser stille Advent und wahrscheinlich auch diese stille Weihnacht, wie wir in unserem beliebtesten Weihnachtslied singen, könnten uns dazu bewegen, über unser Leben und unsere Aufgaben, die Gott uns anvertraut hat, zu reflektieren.

Wir sind nicht allein in dieser Welt. Wir sind Teil einer globalisierten Welt. Wir sind miteinander verbunden. Daher sollten wir wissen, dass diese Pandemie mittlerweile viel mehr ist als nur eine Pandemie. Sie ist zu einer globalen und vielschichtigen Krise geworden, in der sich ernsthafte Gefahren für die Gesundheit mit zahlreichen weiteren Folgen kombinieren und die Sicherheit, Wohlergehen und Entwicklung aller, einschließlich unserer, gefährden. Es droht bald eine akute Armuts-Pandemie. Es bahnt sich eine dramatische Hunger-Pandemie an. Experten schätzen, dass 130 Millionen Menschen allein 2020 in Hunger und extreme Armut zurückgeworfen werden. Die weltweiten Versuche, das Virus einzudämmen, werden in vielen Ländern bereits für verschärfte staatliche Repressionen genutzt und führen so zu einer Autoritarismus-Pandemie. Und indem sie Großmachtwettbewerb, Protektionismus und Null-Summen-Denken befördert, provoziert die Coronakrise auch eine Pandemie des Nationalismus und Unilateralismus. Diese durch das Coronavirus verursachten Folge-Pandemien verstärken sich wechselseitig und können so Entwicklungsfortschritte der letzten Jahrzehnte zunichtemachen, staatliche Fragilität weiterbefördern und sogar zum Brandbeschleuniger für gewaltsame Konflikte werden. Dies nicht zu merken, die Armen in der Welt im Stich zu lassen, wäre ein schwerer Irrtum. Denn die Folgen – in der Form von Staatszerfall, zunehmender Radikalisierung, und wachsenden Fluchtbewegungen – würden westliche Industrienationen bis in ihr Inneres spüren. Solidarität zu üben, ist deshalb auch in unserem eigenen Interesse. Deshalb sage ich, dass der Aufruf zur Wachsamkeit viel konkreter ist, als wir uns vorstellen. Advent und Weihnachten in der Stille zu begehen, bieten uns eine Chance, unser Christsein heute zeichenhaft zu leben, indem wir versuchen, sie besinnlicher und bescheidener zu begehen, den Notleidenden solidarisch beizustehen und an der Pandemie-Bekämpfung mit aller Kraft mitzuwirken.

Dr. Isaac Padinjarekuttu

Bild: kleiner-kalender.de