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Gedanken zum Karfreitag

„Wer hinter mir hergehen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lukas 9,23)

An diesem Tag kommt kein Christ am Kreuz vorbei, nicht dem Kreuz, das als Schmuckstück getragen wird oder als ein frommes christliches Symbol verehrt wird, sondern der Kreuzesnachfolge. „Wer hinter mir hergehen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ sagen (Markus 8,34 und Matthäus 16,24) und Lukas präzisiert es und sagt: „Wer hinter mir hergehen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lukas 9,23). Lukas Ansicht nach besteht das Kreuz, in der zumeist banalen und gleichzeitig oft mühseligen Bewältigung des Alltags im Geist und Sinn Jesu. Was würde das Kreuztragen konkret für uns heute bedeuten?

Es beinhaltet zunächst einmal die Aufforderung, Leiderfahrungen nicht zu verdrängen, sondern sie zu verarbeiten – beispielsweise eine schlimme Vergangenheit, die man als Last mit sich herumträgt; eine Schuld, deren Folgen nicht wiedergutzumachen sind; die niederschmetternde Erkenntnis von Versagen und Erbärmlichkeit, und das Wissen, dass wir unseren Idealen oft weit hinterherhinken. Solche Erfahrungen sind schmerzlich. Nicht selten führen sie zur Selbstablehnung und zu Selbsthass, was sich wiederum in der Ablehnung anderer Menschen äußert. Kreuzesnachfolge hier würde bedeuten: aufarbeiten, was einen bedrückt und beschwert, sich damit auseinandersetzen, in Gedanken, in Gesprächen mit befreundeten Menschen, aber auch im Angesicht Gottes. Die eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten zu akzeptieren, fällt nie leicht. Das kann nicht von einem Tag auf den anderen gelingen. Es handelt sich um einen langwierigen und schmerzlichen Prozess, im christlichen Sinn, um ein Kreuz, das einem auferlegt ist.

Zweitens schließt Kreuzesnachfolge die Bereitschaft ein, Leid zu ertragen, besonders jenes Leid, das unausweichlich ist und angesichts dessen wir uns unseres Unvermögens radikal bewusst werden. Das erste Beispiel ist die Corona-Epidemie. Die zieht sich lange und zehrt sich an den Nerven. Aber gibt es eine andere Wahl, als mit Geduld und Disziplin durchzuhalten? Oder da leidet jemand an einer unheilbaren Krankheit und weiß genau, dass auch die besten Ärzte nicht mehr helfen können; da geht eine langjährige Beziehung plötzlich in die Brüche, weil der Mann seiner Partnerin erklärt, er liebe jetzt eine andere und ein Zurück komme für ihn nicht infrage. Da ist eine Frau, die ihre Existenz bedroht sieht, weil die Firma, in der sie seit Jahrzehnten arbeitet, ein paar hundert Arbeitsplätze streicht. Da stirbt uns ein Mensch plötzlich weg, von dem wir uns angenommen wussten. Wir können beliebig fortfahren mit dem Aufzählen von Leiderfahrungen, welche ein Menschenleben oft über Jahre hin überschatten. Solches Leid versuchen Jesusgläubige zu tragen, indem sie wie und mit Jesus beten: Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir. Aber nicht, was ich will, sondern, was du willst (Markus 14,36).

Kreuzesnachfolge bedeutet drittens: das Leid nicht suchen, sondern es, wo und wann immer möglich, bekämpfen. Eben diesen Weg ist Jesus gegangen, der das Kreuz keineswegs gesucht, sondern den Vater gebeten hat, es ihm zu ersparen. Aber wenn er mit dem Leid konfrontiert war, versuchte er es zu lindern, indem er den Sündern Vergebung zusprach, Kranke heilte, sich auf die Seite der Schwachen und Entrechteten stellte, mit Menschen Mahlgemeinschaft hielt, die als von Gott verstoßen betrachtet waren. So hat er gezeigt, dass alles fremde Leid eine Herausforderung darstellt, weil es im Grunde kein fremdes Leid gibt. Wer sich auf Jesus beruft, kann unmöglich seine eigenen Wege gehen, sondern muss ihm auf seinem Weg folgen, und dieser Weg führt allemal hin zu den Leidenden und Bedürftigen, zu den Verachteten und zu den um ihr Leben Betrogenen. Wer das erkannt hat, wird schnell merken, dass die Rede von Erlösung und vom Kommen des Gottesreiches erst dann glaubwürdig ist, wenn man dabei die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse nicht aus dem Blick verliert. Wenn sich die Kirchen heute vermehrt zu öffentlichen Angelegenheiten äußern, entspricht das ihrem evangelischen Auftrag, was unbequem sein kann.  „Wer hinter mir hergehen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Es gibt keinen anderen Weg, Jesus zu folgen.

Dr. Isaac Padinjarekuttu