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Gedanken zum 3. Fastensonntag

„Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle“

Wenn ich mich richtig erinnere, begann der erste strenge Lockdown in Österreich am 13. März des letzten Jahres. Das war der Freitag in der zweiten Fastenwoche, und damit hatten wir ab dem 3. Fastensonntag bis Mitte Mai keinen öffentlichen Gottesdienst. Viele Priester feierten Gottesdienste in den leeren Kirchen, meistens alleine. Das Evangelium des 3. Fastensonntags, das tatsächlich prophetisch war, konnte nicht öffentlich gelesen werden. Während seines Gespräches mit der Samariterin sagt Jesus: „Glaube mir Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und der Wahrheit, denn so will der Vater angebetet werden. Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten.“

Am 3. Fastensonntag 2021, nach einem Jahr der Corona-Pandemie, bleibt die Lage noch angespannt. Die finstere Wolke, die über unseren ganzen Planeten kam, wirft immer noch ihre schmerzhaften Schatten. Der Lockdown bleibt einigermaßen bestehen. Öffentliche Gottesdienste finden statt, aber mit den Abstands- und Hygieneregeln sind die Kirchen höchstens halbvoll. Und das Evangelium für diesen 3. Fastensonntag klingt auch sehr prophetisch. Jesus reinigt den Tempel von den Händlern und Geldwechslern mit den Worten: Macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle. Jesus ist sich hier mit dem Propheten Jeremias einig, der den Tempel zu seiner Zeit als Räuberhöhle bezeichnete (Jeremia 7,11). 

Was wird Jesus heute mit der Kirche tun, ich meine nicht mit unseren Kirchengebäuden, sondern mit der Institution Kirche? Was Jesus damals getan hat, war eine Ermahnung an seine zukünftige Kirche sich immer an ihr wahres Wesen zu erinnern, nämlich das Sakrament des Heils zu sein. Es hat keinen Nutzen, Ermahnungen nur zu hören, aber nicht danach zu handeln. Vielleicht waren die geschlossenen und leeren Kirchen für einige Zeit im vergangenen Jahr eine prophetische Mahnung. Wenn unsere Kirche und unsere Frömmigkeit nicht eine Reform erleben, eine Umkehr, eine Vertiefung, werden bald viele Kirchen gänzlich leer und geschlossen sein. Als der Tempel von Jerusalem zerstört wurde, musste das Judentum eine große Reform durchmachen: Die Ordnung der Opfer im Tempel wurde von der Ordnung der individuellen Gebete, von Familien und Gruppengebeten ersetzt; der Altar des Tempels wurde vom Tisch der jüdischen Familie ersetzt, auf viele Ritualvorschriften musste verzichtet, viele Bibelstellen ganz neu begriffen werden. Der Nachdruck auf das Glaubensleben wurde auf das Studium der Schrift, auf das Gebet und auf das Verrichten guter Taten verlagert. Etwas Ähnliches müsste mit dem Christentum heute passieren. Vielleicht wird nach dieser Krise eine Form der Kirche untergehen und eine andere erstehen. 

Es ist unsere alltägliche Erfahrung, dass Heiliges und weniger Heiliges oft nah bei einander liegen. Es kann passieren, dass das weniger Heilige dem Heiligen im Wege steht. Das kann uns auch ein Blick auf heutige Wallfahrtsorte zeigen. Viele Menschen kommen, um zu beten, um Gottes Nähe zu suchen. Daneben – und zum Teil auch damit – läuft das Geschäft mit Kerzen, Devotionalien, Andenken aller Art und der Gastronomie. Leicht kann es ein oberflächlicher Besuch werden. Das war genauso im Tempel damals. Aber Jesus war der Tempel heilig, als Haus Gottes, als Wohnung seines Vaters. Jesus sah die akute Gefahr, dass diese Heiligkeit gefährdet wird.

Und in der Kirche heute? Viele haben die geschlossenen Kirchen nicht vermisst. Der Bezug zu Glaube und Kirche geht sehr vielen Menschen immer mehr verloren. Andere, die nach Halt und Orientierung suchen, tun dies nicht mehr bei der Kirche. Die Kirche selbst hat in mehrfacher Hinsicht Schaden genommen, durch die Krisen der letzten Jahrzehnte – und bis heute immer mehr. Wir alle, die wir die Kirche sind, müssen uns fragen, was Jesus uns heute sagen würde? Vielleicht ist es nicht der Vorwurf der Markthalle, sondern anderes? Vielleicht fragt er uns stattdessen, ob wir seine Botschaft genügend deutlich machen – in Wort und Tat; erfahren Menschen bei uns, dass Glaube mit ihrem konkreten Leben zu tun hat, dass Glaube hilft zu leben – und dann auch im Sterben? Erleben Menschen hier, dass sie mit ihren Nöten und Fragen ernst genommen werden und nicht allein gelassen sind? Werden wir als glaubwürdig erlebt? Haben wir auch die Demut, Fehler einzusehen, einzugestehen, und den Mut, etwas zu ändern? Kirche muss Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft wieder neu gewinnen, auf allen Ebenen. Kirche lebt weder von Strukturen noch von frommen Traditionen oder Geselligkeit. Kirche kann nur leben aus der Beziehung mit Jesus Christus, aus der Orientierung an Jesu Wort und Leben. Das Maß und die Wahrhaftigkeit unseres Christseins hängen davon ab, welche Stelle wir Christus in unserem Leben geben, wie unsere Beziehung zu Christus ist.

Das Anliegen Jesu damals und heute ist: wegschaffen, was der Begegnung mit Gott im Wege steht! Raum schaffen für Gebet, für Begegnung, für sein Wort und seine Gegenwart. – Reinigung von allem, was der Liebe zu Gott und den Nächsten im Weg steht, im Großen und im Kleinen. Jesus wollte damals in Jerusalem nicht mit Gewalt den Tempel ausfegen. Er hat ein Zeichen gesetzt, um aufzurütteln und zu Wachsamkeit und Umkehr aufzurufen. So gesehen, ist die „Tempelreinigung“ ein Auftrag für die Kirche und für jeden von uns, bis heute.

Dr. Isaac Padinjarekuttu

Bild: erzdioezese-wien.at