Mani's Blog

Das Kino als Kanzel – Der neue Papst-Film!

Der Film „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ startet in den Kinos. Ob das Pontifex-Porträt des deutschen Filmemachers Wim Wenders gelungen ist, beantworten wir in unserer ausführlichen Filmanalyse.

Heute kommt der neue Papst-Film in die Kinos. Und die Aussage ist klar: Ein Mann, ein Wort. Man nimmt Franziskus ab, was er sagt. Weil sein Leben und Wirken als Papst eine einzige Predigt ist. Eine Predigt, die überzeugt – und nicht fromme, aber austauschbare Floskeln bemüht, die immer richtig sind und stimmen, aber keinen bewegen, jedenfalls nicht nachhaltig.

Dem herkömmlichen Bild eines Papstes, der mit einer Aura der Unnahbarkeit umgeben ist, der sich ausgewählt ausdrückt, nie und bei niemandem aneckt, entspricht Franziskus gerade nicht. Will es nicht. Und er hat sich in seinen bisher fünf Amtsjahren nicht verbiegen lassen. Franziskus ist kein Mann der Distanz, sondern der Nähe. Er schaut in die Augen – und das hält er für eine der wichtigsten Eigenschaften, die er sich von Priestern und allen, die in der Seelsorge tätig sind, in der Begegnung mit Menschen wünscht.

Dieser Film geht unter die Haut. „Ich wollte ihn sprechen lassen, statt einen Film über seine Herkunft zu machen“, sagt der dreifach Oscar-nominierte deutsche Filmemacher Wim Wenders („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, „Pina“). Und: „Das ist kein biografischer Film, es ist eher eine Biografie seiner Ideen. Es ist eher ein Film mit ihm als ein Film über ihn.“

Ein Film von Angesicht zu Angesicht

Dazu haben Wim Wenders (72) und seine Crew zu einem Trick gegriffen: Sie benutzten ein so genanntes Interrotron, eine Art umfunktionierten Teleprompter, auf dem Papst Franziskus das Gesicht von Wenders sehen konnte, als ob er vor ihm säße. Aber gleichzeitig konnte Franziskus auch durch diesen hindurch direkt in die Kamera schauen – was den Effekt hatte, dass die Zuschauer den Eindruck bekommen, dass der Papst direkt mit ihnen spricht, von Angesicht zu Angesicht sozusagen. Franziskus scheint sich auf diese Methode problemlos eingestellt zu haben.

Der Film ist erst die zweite Koproduktion, die der Vatikan mit externen Filmemachern durchgeführt hat. Die Initiative zu „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ ging vom Vatikan aus: Vor einigen Jahren traf Don Dario Edoardo Viganò den Regisseur bei den Filmfestspielen in Cannes und überreichte ihm einen Preis. Einige Monate nach der Papstwahl vom März 2013 sprach Vignanò dann den deutschen Erfolgsregisseur auf das Projekt an.

Nachdem die Finanzierung gesichert war, machte sich Wenders mit seinem Produzenten David Rosier („Das Salz der Erde“) ans Werk. Sie schrieben das Drehbuch und produzierten den Film zusammen mit Samanta Gandolfi Branca, Alessandro Lo Monaco und Andrea Gambetta. Eine einzigartige Zusammenarbeit eines Filmproduktionskollektivs aus einer amerikanischen, einer Schweizer, einer italienischen, einer französischen und einer deutschen Produktionsfirma zusammen mit dem Centro Televisio Vaticano (CTV) wurde auf den Weg gebracht.

Ist das Vatikan-Videoarchiv „ein dunkler Ort finsterer Geheimnisse“? Das Produktionsteam um Regisseur Wim Wenders erlebte es ganz anders. Exklusiv auf katholisch.de berichten sie von den Dreharbeiten zum Kinofilm „Ein Mann seines Wortes“.

Die Dreharbeiten zogen sich über zwei Jahre hin. Wenders hat Hunderte von Fragen formuliert und gebündelt, auch Promi-Stimmen eingeholt (die später verworfen wurden), Archivmaterial gesichtet. Vier lange Interviews mit Papst Franziskus machen den Kern des Films aus: In ihnen antwortet er auf aktuelle Fragen zu globalen Themen, spricht über Reformen in der Kirche und tritt für Zärtlichkeit und Menschlichkeit gegen eine sich breitmachende „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ ein, mit der sich viele einfach abfinden.

Wenders durfte auch auf vatikanisches, teils noch nie veröffentlichtes Archivmaterial zurückgreifen. Eingerahmt wird der Film von einer „Sinfonie von Fragen“ wie von verschiedenen Orten, die Franziskus besucht hat. Beginnend beim Weltjugendtag 2013 im Juli in Rio de Janeiro („Macht Krach!“), sieht man ihn in Gefängnissen oder in Flüchtlingslagern, in Spitälern, beim Holocaust-Mahnmal Yad Vashem und in der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, vor dem 9/11-Memorial in New York, vor der UN-Vollversammlung, auf den Philippinen oder in der zentralafrikanischen Republik Benin bei Waisenkindern.

Lampedusa und Lesbos, Rom und Philadelphia, Bolivien, Ägypten, Jordanien und andere Länder und Orte kommen in den Blick. „Fliegende Pressekonferenzen“ mit präzisen Aussagen zu Homosexualität, Armutsfragen oder sexuellem Missbrauch sind eingestreut. Wieder und wieder Anmerkungen zu Umweltfragen, Migration, sozialer Gerechtigkeit und Konsumverhalten: „Wir brauchen einen Wandel.“

Bilder über Bilder, die berühren

Es berührt sehr, mitzuerleben, wie der Papst mit Leidenschaft und Eindringlichkeit redet, motiviert, warnt. Wie er lacht, trauert, betet. Er entschuldigt sich nach dem verheerenden Taifun Haiyan auf den Philippinen, dass er nicht besser trösten kann: „Ich habe keine Worte für Euch, ich kann nur mit Euch schweigen, mit Bruder Jesus.“ Er steht wie versteinert an Ground Zero. Er betet an der West- bzw. Klagemauer und steigt aus dem Auto, um schweigend vor dem „Schutzwall“ zur Westbank rund um Jerusalem zu stehen. Er umarmt, küsst oder segnet Kinder, Alte, Behinderte, Kranke. Keine Berührungsängste, nirgendwo. Er ist direkt – selbst wenn er für einige Momente schweigend in einer Todeszelle in Auschwitz sitzt. Vor dem US-Kongress in Washington spricht er mühsam auf Englisch. Er wirbt für die Bekämpfung von Armut und für Klimawandel, fordert zur Abschaffung von Todesstrafe und Waffenhandel auf. Im Hintergrund sieht man Vizepräsident Joe Biden und den Republikaner John Boehner, den Sprecher des Repräsentantenhauses – mit Tränen in den Augen.

Was macht ein Papst bei einer Mahnwache für Syrien? Warum weist er in Lateinamerika auf verseuchtes Wasser durch Mineralienabbau hin? Wieso mischt er sich in die Migrationsdebatte ein? Wozu spricht er soziale Fragen an? Ist das Aufgabe eines Papstes – fragen manche. Franziskus indes verabscheut Klerikalismus und Karrierismus. Er will keine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt, um ihre Privilegien besorgt ist, sich auf Liturgie und Frömmigkeit beschränkt. Eindrücklich am Anfang die als Kurienschelte in die Geschichte eingegangene Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie – eine Männergesellschaft: Kardinäle und Bischöfe in vorgerücktem Alter, oft auf einen Stock gestützt, gelangweilt oder schockiert dreinschauend, je nachdem.

Wiederholt wechseln die Einstellungen: Originalaufnahmen von Papstauftritten, Interviews und Stimmen aus dem Off, die den Papst kommentieren, werden mit Aufnahmen aus einem Schwarz-Weiß-Stummfilm aus dem Leben des Franz von Assisi gemischt. Der Sonnengesang wird vollständig zitiert. Eindeutige, fast märchenhaft wirkende Bilder zum Klimawandel sind auf die Fassade des Petersdoms projiziert. All das erzeugt eine Stimmung, die sehr an Wenders‘ Film „Ein Himmel über Berlin“ erinnert. Die Aussage ist klar: Der erste Papst, der den Namen Franziskus annahm, weist wie der Poverello aus Umbrien auf globale Zusammenhänge hin, der existenziell bedrohte Planet Erde ist für ihn zu bewahrende Schöpfung. Der Name ist Programm: „In einer Kirche des Reichtums ist Jesus nicht – eine solche wäre nichts anderes als eine NGO.“ Franziskus ergreift Partei: „Eine Welt ohne Hilfe, Rat und Führung von Frauen kann sich nicht entwickeln.“ Seine Erfahrung hat ihn gelehrt: Ein Problem, Frauen wie Männern vorgelegt, wird oft total unterschiedlich angegangen, besprochen und gelöst.

Etwas mehr als neunzig Minuten lang wird man, unterstützt durch starke Musik, fast pastoral wirkende Kommentare des Regisseurs und eine ungeheure, beeindruckende Bilderflut mit einem Mann konfrontiert, der vor allem eines tut: Er fasziniert. Und er überzeugt. So schlicht manche Aussagen daherkommen („buona sera“), so sehr manche Direktheit verblüfft, manche Vergleiche irritieren – man nimmt ihm ab, was er sagt. Da ist nichts gespielt. Und vieles vermittelt den Eindruck, man säße dabei, wenn er eine Ansprache hält, höre ihm live zu, wenn er predigt, führe im Papamobil mit. Der Suggestion der Bilder kann man sich nicht entziehen.

„Dieser Papst“, so der Frankfurter Theologe Joachim Valentin in der Herder Korrespondenz, „passt nicht nur in unsere Zeit, er hat auch etwas zu sagen, in großer Schlichtheit und Dringlichkeit, aus der Mitte des Evangeliums und der kirchlichen Tradition. Wim Wenders hat eine erste Summe des bemerkenswerten Pontifikats für die Armen gezogen.“ Und dieser Papst ist nicht nur für seine Kirche und für Katholiken da. Zum Islam sagt er: „Wir sind Brüder und voll Respekt vor Gott. Niemals dürfen wir einander zu bekehren versuchen. Niemals.“ Franziskus weiß, dass das nicht alle (Katholiken) gern hören, die ihm auch in anderen Zusammenhängen, besorgt um die Wahrheit und Reinheit der Lehre, Häresie und Schlimmeres vorwerfen und ihm Steine in den Weg legen, wo sie nur können. Über den innerkatholischen Widerstand schütteln Vertreter anderer Konfessionen oder Religionen den Kopf. In Assisi hört man den Papst sagen: „Was uns alle eint, ist die Liebe Gottes zu uns.“

Wim Wenders gelingt, was Bewunderern wie Verächtern dieses Mannes aus Buenos Aires so oft nicht gelingt: zu zeigen, dass Franziskus von seiner Sendung überzeugt. Der Papst führt seine Mission unbeirrt aus, mit sich im Reinen, im Frieden – und das lässt keinen anderen Schluss zu als dass Jorge Mario Bergoglio, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri, ein tief im Gebet verwurzelter Mann ist, den nichts so schnell umwirft.

Wim Wenders als Prediger

Seine Ratschläge mögen oft denen eines Landpfarrers ähneln („Ich frage Eltern: Spielen Sie mit Ihren Kindern? Vertrödeln Sie Zeit mit ihnen?“). Sie sind erfahrungsgesättigt, sie zeigen, dass dieser Mann in allen Ämtern stets Seelsorger geblieben ist. Er kennt das Leben: seine Zwänge, seine Abgründe, seine Herausforderungen, seine Schönheit genauso wie seine Hässlichkeit und Brutalität. Er verachtet die Menschen nicht. Er will ihnen helfen. Und er gibt ihnen Würde. Ganz offensichtlich beeindruckt das selbst Atheisten und hartgesottene Kritiker – die ihre feuchten Augen vielleicht ebenso wenig verstecken können wie der republikanische Hardliner John Boehner im US-Kongress.

Im Interview mit Evelyn Finger für „Die Zeit“ bekennt Wim Wenders: „Ich habe mir im Leben oft die Frage gestellt, welchen Grad an Wirklichkeit Gott für mich hat. Diese Wirklichkeit ist durch vier Jahre Arbeit an diesem Film nur kraftvoller geworden. Durch die ansteckend positive Energie dieses Mannes.“ Anstrengend, aber auch ansteckend ist die Energie, der Schwung, der Elan und der Glauben von Papst Franziskus allemal. Gefragt, ob er nicht Angst habe, wegen dieses Films als „Papist“ zu gelten, antwortet Wim Wenders, der aus der katholischen Kirche ausgetreten und in den 1990er-Jahren zum Protestantismus konvertiert ist, weil ihn in den USA eine presbyterianische Gemeinde beeindruckt hat: „Das ist mir egal. Wissen Sie, das Wort ‚betroffen‘ mag ja heute keiner mehr hören, aber man sieht diesem Papst an, wie ihn das Leid anderer ‚trifft‘ und wie es ihn empört, dass wir vom Leid anderer so abgestumpft sind. Trotzdem bleibt er optimistisch und furchtlos. Vielleicht ist das die Lehre, die ich aus dem Film ziehe, dass man einfach weniger Angst haben soll. (…) Der Mann hat vor nix mehr Angst.“

Apropos: Wim Wenders ist einmal ein Ehrendoktorat der Theologie verliehen worden. „Weil an der katholischen Universität Fribourg ein Häuflein Patres verschiedener Ordenszugehörigkeit das durchsetzen wollte und weil sie allesamt Kinofreaks waren.“ Wer „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ anschaut, versteht vielleicht besser, warum. Das Kino als Kanzel! Wim Wenders predigt mit großartigen Bildern. Entziehen kann man sich ihnen nicht. Kritische Stimmen blendet der Film bewusst aus. Man mag ihn deswegen als Propagandafilm bezeichnen, und es gibt böse Vergleiche mit Leni Riefenstahls Kunst. Klar ist aber auch, was Wim Wenders selber, trotz seiner Bewunderung, in Gespräch mit der Wiener Wochenzeitung „die Furche“ festhält: Franziskus sei sich sehr bewusst, „dass er Änderungen nur lostreten, aber nicht durchführen kann“.

Von Andreas R. Batlogg SJ

https://www.youtube.com/watch?v=ZyQeGlw3IbE